War es für sie heute leicht hierher zu kommen? Ich stelle diese Frage ganz praktisch. Haben sie den Weg durch all die Baustellen hierher gefunden? Mit Baustellen kennen wir uns ja seit langer Zeit vor allem hier in Elsenfeld gut aus. Die Baustellen vor allem in den Straßen werden zur Belastungsprobe und wir verbinden sie mit Staus, Umleitungen, Wartezeiten, Stress. Diese Erfahrungen an Baustellen sind auch Erfahrungen unseres Lebens.
Vor drei Wochen war P. Martin Werlen hier bei uns zu Gast und hat über Baustellen erzählt.
Sie sind ein Bild für unser gesamtes Leben. Unser Körper ist eine Baustelle, davon kann man ein Lied singen, wenn man älter wird. Unsere Beziehungen und unsere Familien sind oft Baustellen. Bildungsarbeit und Kindererziehung. Baustellen. Ganz zu schweigen von unserer Politik, unserer Kirche, unserer Gesellschaft. Viele Baustellen, haben wir uns selbst eingebrockt.
Von Baustellen so scheint es: geht immer eine Gefahr aus. Betreten der Baustelle verboten! Oder Betreten auf eigene Gefahr! Jegliche Haftung wird abgelehnt! Oder Eltern haften für ihre Kinder. Die Gitter und Abschrankungen provozieren keine spontane Sympathieerklärung.
Baustellen sind zunächst ja nichts Schlechtes. Es ist ja etwas im Werden. Neues, ganz Wunderbares kann entstehen. Vor 10 Jahren war unsere Christkönigskirche in der wir jetzt sind, eine Baustelle. Und hier liegt der wichtige Gedanke. Alles was an schönem, fertigen, wunderbaren entstanden ist, alle Entwicklung – verdanken wir einer Baustelle. Wichtig aber ist, dass etwas passiert und die Baustelle nicht still gelegt wird.
Aber wir sind ja heute da um Ostern zu feiern und nicht über Baustellen zu reden. Und doch war, wenn wir Jesus auf seinem letzten Weg gerade in der Karwoche begleiten, diese letzte Woche eine einzige Baustelle.
Am Palmsonntag wird gejubelt. Am Gründonnerstag gibt es Verrat und Verleugnung, tiefe Einsamkeit. Am Karfreitag stirbt der Retter der Welt elend am Kreuz und fühlt sich sogar von seinem Vater verlassen. Am Karsamstag ist alles vorbei und es herrscht Totenstille. Und selbst Ostern ist eine Baustelle. Im Mk-Ev heißt es: „Dann packte sie Furcht und Erschrecken.“ Im LK-Ev, das wir gerade gehört haben, herrscht bei den Frauen im ersten Augenblick Furcht und Erschrecken. Die Aposteln halten das was sie erzählen für leeres Geschwätz und selbst Petrus, der selbst nachsieht, kehrt voller Verwunderung zurück.
Ratlosigkeit, Erschrecken, Unglaube, Verwunderung, das sind die ersten Reaktionen auf das Ostergeschehen. Der neue Morgen beginnt mit einem Vakuum: das Grab ist leer, Jesus ist verschwunden, nicht mehr fassbar, weder als Toter noch als Lebendiger. Der Schmerz über den Verlust ist an diesem Morgen noch nicht überwunden.
Ostern – eine einzige Baustellenerfahrung. Nichts Fertiges.
Das ist weiter nicht schlimm. Solange wir auf dem Weg bleiben, bildlich gesprochen: weiterarbeiten, weiter hoffen, suchen und fragen, ahnen und staunen und dann allmählich der Auferstehungserfahrung trauen. Die neue Weise des Lebens die da anbricht, verlangt von uns Geduld, denn es dauert, bis sich eine Abwesenheit wieder mit Leben füllen kann.
Fatal wäre es, wenn die Baustelle still gelegt wird und die Baufirma Konkurs anmeldet.
Wenn wir heute Umfragen trauen, so scheint der Glaube an ein Leben nach dem Tod hinaus immer mehr zu schwinden, vom christlichen Glauben an eine leibliche Auferstehung gleich ganz zu schweigen.
P.M. Zulehner: „Früher dauerte das Leben 70 Jahre und eine Ewigkeit. Heute leben die Menschen nur noch 90 Jahre.“
Es gilt alles möglichst schnell in diese 90 Jahre hinein zu packen. Nach dem Motto, wir leben auf Teufel komm raus, weil danach nichts mehr kommt. Ist nicht diese Einstellung ausschlaggebend für die vielen Baustellen unseres Lebens? Wenn die Frage nach der Auferstehung beiseite gelegt wird, zieht das noch ganz andere Fragen nach sich. Wenn die Osterhoffnung fehlt, fehlen uns grundlegende Fragen unseres Menschseins.
- Was ist mit den Menschen, denen ich so vieles verdanke (Eltern, Lehrer, Freunde) und die durch den Tod hinweg gerafft wurden – ist es da nicht eine Geste der Menschlichkeit, sich danach zu sehnen , ihnen möge vergolten werden, was sie mir Gutes getan haben? Was ist mit der Liebe zu ihnen, die trotz all der Jahre nicht verlischt?
- Wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, so muss uns diese Möglichkeit brennend interessieren, denn wenn es sie nicht gibt, kann auch nicht wieder gut gemacht werden, was ich anderen schuldig geblieben bin.
- Und dann gibt es in alle Ewigkeit auch kein Heil für die riesige Zahl derer, die in ihrem Leben vor allem Gewalt und Unterdrückung erfahren haben. Wer nur einen Funken Gerechtigkeitssinn in sich trägt, kann nicht gleichgültig gegenüber dieser Frage bleiben, ob wir dereinst auferstehen oder nicht.
Der Frage nach einer möglichen Auferstehung der Toten gleichgültig gegenüber zu stehen und als uninteressant, belanglos abzutun – zeigt doch eher, dass man nicht recht begriffen hat, was hier eigentlich zur Debatte steht. Um im Bild der Baustelle zu bleiben. Wer sich nicht sehnt, wer nicht sucht und fragt, der hat die Baustelle still gelegt, Konkurs angemeldet. Das ist das eigentlich Tragische. Das Leben dauert höchstens 90 Jahre. Dann Stillstand.
Ob ich offen bin für die Frage nach einem Leben nach dem Tod; ob ich mich sehne nach dem, was der biblische Auferstehungsglaube verheißt, das hängt wesentlich von meiner Einstellung zum Leben ab.
Karl Rahner sagte einmal: Vielleicht vollzieht sich unser Sterben ja gar nicht so sehr als ein Erlöschen unseres Geistes, wie wir immer meinen und befürchten, - vielleicht verhält es sich auch gerade umgekehrt. Dass unsere engen und begrenzten Sinnes- und Geistesvermögen im Sterben aufgesprengt werden auf das Ganze der Wirklichkeit hin. (Allkosmisch werden der Geistseele).
Ja Ostern ist eine Baustelle. Es ist die Sehnsucht nach Auferstehung, die uns Menschen menschlich werden lässt: hungrig nach Wahrheit, durstig nach Gerechtigkeit und treu in unserer Liebe – auch über den Tod hinaus.
Aber dann wird es so sein, dass wir am Ende nach der Baustelle unseres Lebens, an der wir ein Leben lang gearbeitet haben, in weiten und richten Räumen stehen.
Ich wünsche uns allen, dass wir als österliche Menschen ganz bewusst diese Baustelle gestalten, die uns ins ewige Leben führt und das wir in diesem Sinne auch den Mut haben Baustellenschilder zu ignorieren, die uns vor der Auferstehungshoffnung warnen möchten.
Holger Oberle-Wiesli